Kurzmodell eines jungzeitlichen Langhauses vor dem LVR-Museum, Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Bonn ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Jeder vierter Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Stadt seit der Frühzeit durch Einwanderung geprägt wurde und die Geschichte der Menschheit eine einzige Abfolge von Wanderungen darstellt.

„Es gibt nicht viel, was den Mensch mehr interessiert, wie die Frage, wo komme ich her und wer sind meine Ahnen“, sagt Dr. Gabriele Uelsberg, Direktorin des LVR-LandesMuseums in Bonn.

Der Landschaftsverband Rheinland möchte die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen unterstützen und ihnen über seine Museen deutsche und rheinische Geschichte und Kultur vermitteln. Flüchtlinge erhalten deshalb nach Vorlage einer Bescheinigung freien Eintritt in allen 19 LVR-Museen.

Im Bonner LVR-Museum können die Besucher sich auf eine erlebnisreiche Zeitreise der Menschheit begeben, von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Obwohl die ersten Menschen Afrika schon vor zwei Millionen Jahren verlieβen, blieb Europa nördlich der Alpen lange Zeit menschenleer.

Der Schädel des ältesten Rheinländers, der weltberühmte Neandertaler, dessen Fossil (40.000 v.Chr.) in der Nähe von Mettmann 1856 gefunden wurde, ist ein Prunkstück der Dauerausstellung. Die Neandertaler waren über 200.000 Jahre in Europa präsent, von Portugal bis Westsibirien, sind dann aber ausgestorben. Jüngste Gen-Forschung zeigt, dass Menschen in Europa und anderen Erdteilen jenseits von Afrika heute noch Spuren (bis zu vier Prozent) vom Neandertaler in ihrem Erbgut tragen.

Es muss also eine Begegnung dieser vorzeitlichen Menschenart mit dem Homo sapiens sapiens und eine Vermischung stattgefunden haben. „Der Homo sapiens sapiens zog nur langsam nach Norden. Im Zweistromland (Kleinasien) haben die Neandertaler und anatomisch moderne Menschen über lange Zeit miteinander gelebt“, erläutert Uelsberg, die eine gebürtige Bonnerin und Kunsthistorikerin ist und das Museum seit 2004 leitet.

Die nachweislich ältesten Bonner

Im Februar 1914 machten Steinbrucharbeiter in Bonn-Oberkassel einen sensationellen Fund. Sie fanden zwei menschliche Skelette und die Überreste eines Hundes. Die Untersuchungen von Archäologen der Universität Bonn ergaben, dass es sich um das Grab einer Frau und eines Mannes handelte, die vor über 14.000 Jahren in der Frühsteinzeit lebten. Die Arbeiter hatten damit die zweitältesten Belege des modernen Menschen, des Homo sapiens sapiens, in Deutschland entdeckt. Der mitbestattete Hund ist einer der ältesten Haushunde der Menschheitsgeschichte. Im Grab wurden zudem aus Geweih und Knochen gefertigte Kunstobjekte und der Penisknochen eines Bären gefunden.

Anlässlich des 100. Jubiläums der Entdeckung des Doppelgrabes hat ein internationales interdisziplinäres Forscherteam die Überreste von „Adam und Eva aus dem Rheinland“ mit modernen wissenschaftlichen Methoden untersucht. Um den Eiszeitjägern, deren Skelette im Museum ausgestellt sind, ein Gesicht zu geben, hat eine Gerichtsmedizinerin anhand der Schädelknochen die Gesichter der beiden rekonstruiert.

Die ersten Bonner
Herr und Frau Oberkassel (Foto: LVR LandesMuseum Bonn)

„Herr und Frau Oberkassel unterscheiden sich optisch nicht vom heutigen Menschen“, sagt Uelsberg. Mittels DNA-Analyse und anthropologischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass sie Anfang 20 war und mindestens ein Kind geboren hatte. Er war Anfang 40. Sie hatten nicht dieselbe Mutter und waren wahrscheinlich ein Paar. Ihre Nachfahren sind nach Norden gezogen und eng mit den Sami (auch Lappen genannt) verwandt, die im nördlichen Skandinavien leben.

Das Leben der Eiszeitjäger sei im Vergleich zu unserem hektischen Leben geradezu paradiesisch gewesen. „Sie arbeiten weniger als vier Stunden am Tag und hatten Zeit, sich künstlerisch zu betätigen. Jeder konnte jagen und war satt. Die Temperaturen waren relativ mild. Es war eine angenehme Zeit“, schwärmt Uelsberg.

Vor knapp 8000 Jahren wanderten dann Menschen aus dem Gebiet des heutigen Syriens, Iraks und der Türkei ins Rheinland ein, die das Steinzeitleben radikal veränderten. Die Neuankömmlinge aus dem Nahen Osten brachten Landwirtschaft und Viehzucht mit nach Mitteleuropa.

Revolution Jungsteinzeit

Dieser Epoche, in der „Ötzi“ lebte und richtungsweisende kulturelle und technologische Innovationen fallen, widmet sich die Ausstellung Revolution Jungsteinzeit, die noch bis zum 3. April zu sehen ist.

„Einige Phänomene unserer heutigen Gesellschaft wurzeln in der Jungsteinzeit“, erklärt Uelsberg, denn mit der Einführung des Ackerbaus und der Sesshaft-Werdung bekamen Land und Besitz eine Bedeutung. „Man muss Haus und Hof sichern. Neue Gesellschaften und soziale Hierarchie entstehen. Die Landwirtschaft bündelt viele Arbeitskräfte. Ackerbau ist Knochenarbeit.“

Die Jungsteinzeit war laut Uelsberg ein Hort der Innovation. Das Rad wird erfunden, der Bergbau und europaweite Tauschnetzwerke entstehen. Die ersten rheinischen Landwirte und Viehzüchter lebten in Langhäusern und waren Pioniere der Metallverarbeitung, des Töpferhandwerks und Brunnenbaus. „Der Brunnen von Kückhoven (bei Erkelenz) ist 13 Meter tief, nur mit Holz gebaut, ein Meisterwerk der Zimmermannskunst“, sagt Uelsberg.

Für die Einwanderer aus dem Morgenland war das Rheinland ein sogenanntes Gunstland. Es gab reichlich Wasser, fruchtbaren Boden, ein mildes Klima und den Rhein als Wasserstraβe, über den man Fernhandel betreiben konnte. Rituelle Objekte, wie Schmuckbeile, kamen zum Beispiel aus Norditalien. Feuersteine aus der Nähe von Aachen finden sich in ganz NRW. Schon damals hat es wandernde Händler und Handwerker.

„Sie reisten mit den rohen Feuersteinen, die sie vor Ort verarbeiteten. Wissenstransfer entsteht nur durch Bewegung. Entweder man wird eingeladen oder macht sich selbst auf den Weg“, erläutert Uelsberg.

Feuersteine, Veltmannplatz, Aachen, 3500–3000 v. Chr. Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn
Feuersteine, Veltmannplatz, Aachen, 3500–3000 v. Chr. Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn

Rebellische Kelten und integrative Römer

Mit der jungzeitlichen Revolution begann die moderne Zivilisation in Europa. Die Bewohner sind im Rheinland sesshaft geblieben. Nach der Bronzezeit kam die Eisenzeit und damit kamen die Kelten ins Rheinland.

Völker und Nationen sind kulturelle Konstrukte. Museumsdirektorin Uelsberg erklärt, dass die Bezeichnung Kelten und Germanen ein von den Griechen und Römern übergestülptes Label ist. Julius Cäsar habe bei seinen Eroberungszügen (58-51 v. Chr.), die im nördlichen Europa lebenden Stämme einfach in einem Sammelbegriff zusammengefasst und das Kunstwort „Germanen“ erfunden.

Die Römer haben kämpferische und aufmüpfige fremde Stämme militärisch bekämpft und die anderen integriert. Der im Rheinland und in der Eifel lebende Keltenstamm der Eburonen setzte sich, angeführt von König Ambiorix, zunächst gegen die Römer erfolgreich zu Wehr, wurde aber letztlich von der Übermacht Roms niedergeschlagen.

Bonn war bereits eine Stadt, bevor die Römer ihr Lager in Bonn-Castell aufschlugen. Die römischen Soldaten benötigten eine Infrastruktur und Nahrung, denn die Legionäre haben selbst keinen Ackerbau betrieben. Die römischen Eroberer waren fasziniert von der unterlegenen Kultur der Kelten und integrierten Elemente des keltischen Lebens, der Religion und Kunst in ihre Kultur.

„Die Römer waren integrativ und ein bunt gemischter Haufen. Der Trick war die gemeinsame Sprache“, erläutert Uelsberg. Latein und die politische Ordnung, mit einer fundierten Gerichtsbarkeit und öffentlichen Verwaltung, bildeten das Rahmenwerk, das das römische Reich zusammenhielt und die enorme kulturelle Vielfalt und Koexistenz zuließ.

Zu den in Bonn stationierten Legionären gehörten Kelten, Gallier und Bewohner aus dem östlichen Teil des römischen Reiches. Es ist überliefert, dass Bonns Stadtpatrone Cassius und Florentius schwarze Legionäre aus Nordafrika waren. Der Legende nach gehörten sie zu der von Mauritius (Sankt Moritz) angeführten Thebäischen Legion, deren sämtliche Mitglieder Christen waren und gegen Ende des 3. Jahrhunderts hingerichtet wurden, weil sie sich weigerten, gegen ihre Glaubensbrüder zu kämpfen.

Die römischen Legionäre waren Berufssoldaten, von denen einige nach Ablauf ihrer Dienstzeit in Bonn Wurzeln schlugen und Kinder hinterlassen haben. Roms  Herrschaft am Rhein dauerte bis Mitte des 5. Jahrhundert.  Danach übernahmen die Franken die Macht.

Der nächste Migrationsschub erfolgte während der Völkerwanderung im 6. und 7. Jahrhundert, als ganz Europa in Bewegung geriet, ausgelöst von den aus Sibirien eindringenden Hunnen und Tataren. Die Langobarden zogen zum Beispiel aus dem Elbgebiet nach Norditalien und die ostgermanischen Goten bis in die Türkei.

Seit der Frühzeit wurde über den Rhein kontinuierlich internationaler Handel und ein reger interkultureller Austausch betrieben. Das hat nicht nur die Kulturlandschaft, sondern auch die Mentalität der Menschen nachhaltig geprägt.

Zeitgenössische Kunstszene Rheinland

Die Region Rhein-Ruhr ist heute mit 18 Millionen Einwohnern das am dichtesten besiedelte Ballungsgebiet Europas. Nordrhein-Westfalen hat auch die dichteste Museumslandschaft in Europa. Im letzten Jahrhundert hat sich das Rheinland zu einem Zentrum der bildenden und modernen Kunst entwickelt.

„Von hier gehen wahnsinnige Impulse aus. Viele internationale Künstler ziehen in die Region, weil sie bei uns die kreative Freiheit haben, ihre Individualität und Originalität auszuleben“, sagt Uelsberg.

Die Aufgabe des LVR-LandesMuseums sei, die bunte Migrations- und Kulturgeschichte des Rheinlandes von den Neandertalern bis zur zeitgenössischen Kunst erlebbar zu machen. In der Reihe „Szene Rheinland“ zeigt das Museum zeitgenössische Künstler, deren Wirkkraft über das Rheinland hinaus in die nationale und internationale Kunstszene hineinströmt.

 Chawa, 2008/10, © Zipora Rafaelov, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Chawa, 2008/10, © Zipora Rafaelov, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Vom 15. April bis zum 12. Juni werden in der Ausstellung „Gezeichnetes Licht“ Werke von Zipora Rafaelov präsentiert. Rafaelov ist eine in Israel geborene und seit 30 Jahren in Düsseldorf lebende Künstlerin, die an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat. Sie ist international bekannt für ihre unverwechselbare Bildsprache, in der sie skulpturale und graphische Elemente miteinander in Beziehung setzt. Sie verwendet fast ausschließlich Weiß, ganz selten Schwarz, und schafft mit Licht und Schatten Werke von großer Imagination.

LVR-LandesMuseum Bonn, Colmantstr. 14-16, 53115 Bonn

Öffnungszeiten: Di – Fr, So 11-18 Uhr, Sa 13-18 Uhr, Mo geschlossen

Eintrittspreise: Erwachsene 8, ermäßigt 6 Euro. Kinder, Jugendliche unter 18 Jahren und Flüchtlinge erhalten freien Eintritt.

 

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