Mediterrane Reisegeschichten: Von Odysseus bis zu heutigen Flüchtlingen

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Boot mit afrikanischen Flüchtlingen imMittelmeer (Foto: Francesco Malavolta)

Bonnections präsentiert heute um 18 Uhr in der Zentralbibliothek im Haus der Bildung Reiseerzählungen und Gedichte rund um das Mittelmeer  – von Odysseus, Goethe, Beaudelaire bis zu dem syrischen Lyriker Adonis und Geflüchteten unserer Zeit. Die Lesung ist mehrsprachig und kostenlos.

Vorgelesen werden unter anderem die Erzählungen von drei jungen Afrikanern aus Mali und Gambia über ihre Fluchtwege und lebensbedrohliche Überfahrt von Libyen nach Italien. (Der  Collettivo Antigone Blogbeitrag von Maria Grazia Patania wurde von Christine Cavaliere ins Deutsche übersetzt.)

Anonymus, 19, Mali:

Die Reise auf dem Schlauchboot war sehr anstrengend: wir waren viele, ich hatte noch nie das Meer gesehen und es machte mir Angst. Mir war schlecht vom Gestank des Benzins.

Ein Freund, der auf dem Rand des Schlauchbootes saß, half mir und ließ mich den Kopf zwischen seinen Knie halten. Irgendwann bin ich eingeschlafen und war sicher, dass ich sterben würde, da ich keine Energie mehr hatte. Als ich aufwachte, fühlte ich mich ein bisschen besser, aber jedes Mal, wenn ich das Meer sah, bekam ich Angst.

Ein Schiff der italienischen Militärmarine hat uns mitten auf dem Meer gerettet und uns nach Augusta gebracht. Nach den Kontrollen hat uns das Zentrum in einer Grundschule aufgenommen und dort begann für mich ein neues Abenteuer.

Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer (Foto: Francesco Malavolta)
Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer (Foto: Francesco Malavolta)

Sainey, 12, Gambia:

Ich reiste alleine und dachte nur daran, dass jenseits des Meeres Italien liegt. Und dass ich dort Fussball spielen könnte. Aber jetzt bin ich hier in dieser Schule und mache den ganzen Tag nichts. Ich spiele nicht einmal Ball.

Als ich in Libyen angekommen bin, nach der Wüste, haben sie mich entführt und in ein Lager gebracht und gefoltert. Sie sagten mir, wenn ich ihnen Geld geben würde, hätten sie mich gehen lassen. Meine Schwester konnte mir nicht mehr helfen. Also bin ich geflohen. Es gab einen Fluchtweg und so bin ich geflohen. Sie hätten mich sowieso getötet.

Ich bin auf der Straße gelandet und musste das Geld für die Reise sammeln, also zeigte ich mich jeden Morgen an einer Stelle wo viele andere auch erschienen, die übertags aufgenommen wurden. Welche Arbeit macht ihr? Irgendetwas! Hartes Zeug. Abends tat mir der Rücken weg und häufig scheuchten sie mich schlagend – und ohne Geld weg. Ich lernte einen Jungen kennen, wir wurden Freunde, er erklärte mir, wie ich zu jemandem Kontakt aufnehmen konnte, um nach Italien zu kommen.

Dann haben sie ihn auf der Straße niedergeschossen. Zufällig. Versehentlich. Sie fuhren mit den Wagen an ihm vorbei und schossen ihn nieder. Einfach so. Ohne Grund. Du hast keine Vorstellung davon, wie Libyen ist. Und Tripolis. Alle haben eine Pistole bei sich, auch die Kinder. Und sie benutzen sie gegen uns. Sie nennen uns „lebende Tote“.

Im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge auf dem Deck eines Rettungsbootes (Foto: Francesco Malavolta)
Flüchtlinge auf dem Deck eines Rettungsbootes (Foto: Francesco Malavolta)

Mohammed, 16, Gambia:

Ein Freund gab mir das Geld für die Reise und eine Landkarte der Länder, die ich durchqueren musste. Ich bin alleine in Senegal angekommen und lebte dort drei Monate auf der Straße. Danach bin ich in Niamey im Niger angekommen und schlief in einem verlassenem Gebäude für ungefähr fünf Monate. Ich hatte Glück, nicht gestorben zu sein. Danach kam die Wüste.

Sieben Tage zusammengeballt auf einem Lastwagen mit der Guerilla, die uns aufspürte. Wir hatten weder Wasser noch Lebensmittel. Wir wurden einige Male ausgeraubt und wenn du versucht hast, das Geld zu verstecken, wurdest du erschossen. Einfach so: Boom! Und man machte eine eindeutige Geste.

Danach kamen wir in Libyen an, in Saba. Saba ist eine sehr gefährliche Stadt. Man sperrte mich drei Monate in einem Lager ein und wollte 500 Dinar, um mich frei zu lassen. Aber ich kannte niemanden, den ich um die 500 Dinar bitten konnte und habe beschlossen, dass ich fliehen musste. Ich wusste, dass es sehr gefährlich war und ich mein Leben riskierte, aber ich wäre sowieso gestorben. Und so floh ich.

Ein guter Mensch rettete mich. Ich arbeitete vier Monate für ihn, um das Geld für die Reise zusammen zu bekommen. Dann bin ich nach Tripolis gegangen und dort begann die Hölle. Wir waren nichts wert. Man machte uns mit einem Wort klar, was es heisst, ohne Heimat und ohne Hoffnung zu sein. Du kannst jeden Moment sterben. Jeden Morgen reihte ich mich mit den anderen in die Schlange ein, um zu versuchen, für eine Arbeit genommen zu werden. Wenn du Glück hattest, bekamst du 2 oder 3 Dinar pro Tag bezahlt. Wenn sie dich nicht bezahlten und du dich beschwerst hast, wurdest du getötet. Ganz einfach, oder?

Eines Tages erfuhr ich, dass es eine Abreise gab. Man versammelte die Menschen auf der Mole und ich hatte Glück: ich hatte mich in die Menge gleiten lassen und konnte ohne zu zahlen abreisen. Es war zwei Uhr nachts und es gab keinen Unterschied zwischen dem Himmel und dem Meer. Wir haben uns gegen die tunesischen Hilfskräfte gewehrt im Wissen, dass sie uns zurückbringen würden und sind Richtung Italien weitergefahren. Bis wir die Hubschrauber sahen, die uns gerettet haben, versorgt und mit Nummern eingetragen. Ich hatte Angst, zu sterben.

Photo Copyright: Francesco Malavolta

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