Für das erste Bonnections Podcast Gespräch haben wir uns mit Rafaële Giovanola getroffen, eine international tätige Choreografin und Mitgründerin der Bonner CocoonDance Company.
Rafaële ist eine Schweizer Tänzerin, die in den USA geboren wurde und lange Jahre mit William Forythe am Frankfurter Ballett gearbeitet hat. Wir haben das Gespräch auf Englisch am 22. März (am Tag der Brüsseler Terroranschläge) geführt und darin auch die aktuellen Weltereignisse und die durch Krieg und Armut verursachten Flüchtlingsströme thematisiert.
In dem Audio Podcast spricht Rafaële über das kürzlich in Bonn stattgefundene internationale Into-the-Fields Festival und die neue CocoonDance Produktion, MOMENTUM, die vergangenen Donnerstag im Theater im Ballsaal Premiere feierte. Das Stück läuft noch dieses Wochenende. Flüchtlinge sind herzlich eingeladen und haben freien Eintritt. (Fr 15. / Sa 16. April, 20 Uhr)
Rafaele erzählt über ihren tänzerischer Werdegang, ihre künstlerische Philosophie und Arbeit mit Nachwuchs und nicht-professionellen Tänzern, darunter mit Flüchtlingen in einem Kooperationsprojekt mit dem Theater Osnabrück und jungen Tänzern in Mali, und was sie aus diesen Erfahrungen gelernt hat. Aus Tanzprojekten an Bonner Schulen ist die Junior Company Bonn erwachsen. In dem bunten CocoonDance Nachwuchsensemble für Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 7 und 17 Jahren tanzen mittlerweile auch einige Flüchtlingskinder mit.
Giovanola hat CocoonDance 2000 zusammen mit ihrem Mann und Dramaturgen Rainald Endrass gegründet. Je nach Projekt ergänzt sich das Leitungsduo mit Tänzern, Musikern und Künstler, um die Erzählform Tanz neu zu definieren und mit innovativen Formen der Verwandlung und Inszenierung zu spielen.
Bei der MOMENTUM Produktion arbeiten sie mit dem DJ Musiker Franco Mento, dem Lightdesigner Marc Brodeur, dem Traceur (Parkour-Trainer) Frédéric Voeffray und den Tänzern Àlvaro Esteban, Werner Nigg und Andi Xhuma zusammen.
Parkour, erklärt Giovanola, ist eine Kunst der Fortbewegung, in der es darum geht, Hindernisse im urbanen Raum ohne Hilfsmittel und in einem kontinuierlichen Bewegungsfluss zu überwinden, ähnlich wie Spiderman oder Superman.
Zum hämmernden Elektrobeat tanzen die drei Ensemblemitglieder in energiegeladenen und parkour-beeinflussten Bewegungen durch die Luft und raumgreifend über den Boden. Die Atmosphäre erinnert an einem Techno Club. Es gibt keine Pause, keinen Stillstand, bis die Tänzer nach rund 50 Minuten Atem hechelnd und schreiend zusammenbrechen.
Wie in den vorangegangen Produktionen „Pieces of Me“ und “What About Orfeo?“ strebt CocoonDance auch mit MOMENTUM eine gemeinsame Raum- und Bewegungserfahrung von Tänzern und Zuschauern an.
„Bei MOMENTUM ist das, was die Zuschauer auf der Bühne sehen, zu 90 Prozent von den Tänzern aus dem Moment heraus improvisiert, innerhalb von Regeln und choreografischen Vorgaben. Die Musik wird dann live ihren Bewegungen angepasst. Die Zuschauer werden also jeden Abend ein etwas anderes Stück sehen“, erläutert Rafaële Giovanola in dem Bonnections Podcast vor der Premiere.
Die in Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und der Dance Company des Theaters Osnabrück entwickelte Produktion, “Biografia del Corpo” (Biographie des Körpers), wird am 3. Juni in Bonn zu sehen sein. Das DIE WELT Video zeigt Bilder von der Osnabrücker Premiere Ende letzten Jahres.
Künstlerischer Steckbrief: Rafaële Giovanola
Rafaële Giovanola wurde 1960 in Baltimore geboren und zog im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern aus den USA nach Monthey in die französischsprachige Schweiz, wo sie ab dem achten Lebensjahr klassischen Ballettunterricht erhielt. Giovanola, deren Großeltern italienischer Herkunft sind, studierte an der Ballettakademie in Monte Carlo bei Marika Besobrasova.
Nach einem ersten Engagement als Solistin in Turin ging sie zum Frankfurter Ballett, wo sie acht Jahre unter der Leitung von William Forsythe gearbeitet und bei allen wichtigen Produktionen mitgewirkt hat. Forsythe gilt als einer der bedeutendsten Choreografen des zeitgenössischen Tanzes.
„Er hat sehr viel ausprobiert und verändert. Wir waren seine Versuchskaninchen“, erinnert sich Giovanola. „Ich habe viele Vorbilder, doch prägend für mich waren Besobrasova und Forysthe. Beide haben mich bis an meine Grenzen gepusht.“
Ab 1990 tanzte sie im Ensemble von Pavel Mikuláštiks Choreographischem Theater bis zu seiner Auflösung im Jahr 2003, zunächst in Freiburg, dann in Bonn. „Es war fantastisch, mit Pavel zu arbeiten. Ich hatte wunderbaren Rollen, die mich als Darstellerin stark gefördert haben“.
Nach einer langjährigen Karriere an Stadttheatern wagten Giovanola und ihr Mann Rainald Endraß, die einen 23jährigen Sohn und eine 18-jährige Tochter haben, den Sprung in die freie Szene. Seit 2004 leitet und bespielt CocoonDance die Sparte Tanz im Theater im Ballsaal in Endenich und hat sich weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen in der zeitgenössischen Tanzszene erobert. Die entstandenen Produktionen tourten um die Welt und wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
„Wir sind sehr viel unterwegs. Bonn ist unsere Basis und bietet tolle Möglichkeiten für uns als freies Theater“, sagt Giovanola.